Am 23. August 2020 haben madagassische Sicherheitskräfte 22 Gefangene getötet, nachdem diese gegen 12Uhr aus dem Gefängnis Farafangana in der südöstlichen Region Madagaskars geflohen waren. Zwei weitere Häftlinge starben am 24. August an ihren Verletzungen, andere sind wegen schwerer Verletzungen im Krankenhaus. Insgesamt entkamen 88 Häftlinge. Medienberichten zufolge teilten sich die Gefangenen in zwei Gruppen auf, von denen eine die Gefängniswärter_innen mit Steinen angriff, während die andere Gruppe einen Weg durch die Toiletten erzwang.
Lokalen Berichten zufolge sind die Gefangenen geflohen, um gegen ihre verlängerte Untersuchungshaft, die Anwendung der Untersuchungshaft für kleinere Vergehen, einschließlich des “Diebstahls einer Zahnbürste”, die erbärmlichen Haftbedingungen, die durch eine starke Überbelegung gekennzeichnet sind, sowie gegen die weit verbreitete Korruption zu protestieren, die sie dazu zwingt, Bestechungsgelder an eine Vielzahl von Akteur_innen innerhalb des Gefängnissystems zu zahlen.
Weiteren Berichten nach hatten die Gefangenen auch eine Pistole eines Gefängniswärters an sich genommen, die inzwischen gefunden wurde. Zusätzlich zu den 20 Gefangenen, die an Ort und Stelle getötet wurden, wurden laut Medienberichten etwa 20 weitere festgenommen, darunter acht, die schwer verletzt und ins Krankenhaus eingeliefert wurden.
Laut dem für die Gendarmerie zuständigen Staatssekretär seien die Gefangenen unter dem Beschuss der Sicherheitskräfte gestorben, weil sie sich bei der Verfolgung mit der gestohlenen Waffe und durch Steinewerfen gewehrt haben.
Die Direktorin der regionalen Gefängnisverwaltung, Nadege Patricia Razafindrakala, sagte gegenüber dem RFI, dass “einige Häftlinge mit einer Piroge entkommen sind. Als wir schießen wollten, verschwanden sie…. Die kleine Piroge sank”. Stunden nach den Ereignissen wurden Fotos der Leichen der Verstorbenen über soziale Medien verbreitet. Razafindrakala zufolge hätten die Gefangenen seit dem Ausbruch von COVID-19 keinen Besuch von ihren Familienangehörigen erhalten dürfen. Dies könnte einer der Beweggründe für den Gefängnisausbruch gewesen sein. Laut Facebook-Seite forderte das Justizministerium den Regionaldirektor der Gefängnisverwaltung dazu auf, “alle notwendigen Maßnahmen” zu ergreifen, um mit der Situation umzugehen.
Amnesty International Researcher, die 2017 und 2018 das Gefängnis Farafangana besuchten, wurden Zeuge der schlechten Infrastruktur und unmenschlichen Haftbedingungen, die in den madagassischen Gefängnissen vorherrschen, einschließlich der starken Überbelegung. AI dokumentierte ferner eine übermäßige Inanspruchnahme der Untersuchungshaft im Gefängnis in dem Bericht “Punished for Being Poor: unjustified, excessive and prolonged pre-trial detention in Madagascar”. Im Mai 2020 beherbergte das Gefängnis 453 Häftlinge bei einer offiziellen Kapazität von nur 260.
Deprose Muchena, Amnesty Internationals Regional Director für das östliche und südliche Afrika, reagiert auf die Ereignisse mit folgenden Worten:
“Dies ist ein entsetzlicher Angriff auf das Recht auf Leben, der zeigt, dass die madagassische Regierung weiterhin das Leben der Häftlinge vernachlässigt. Wir haben die Behörden immer wieder davor gewarnt, dass die erbärmlichen Haftbedingungen in Madagaskar, die durch die Überbelegung und den Mangel an Ressourcen noch verschärft werden, zu einer Tragödie führen würden. Dies sollte ein Weckruf für die Regierung sein, ihre Gefängniskrise dringend und umfassend anzugehen.“
„Die Behörden müssen unverzüglich eine unabhängige Untersuchung des Todes dieser Gefangenen einleiten und diejenigen vor Gericht bringen, die für die Anwendung unnötiger tödlicher Gewalt verantwortlich sind. Den Sicherheitskräften muss befohlen werden, die Anwendung unrechtmäßiger tödlicher Gewalt unverzüglich einzustellen.“
“Trotz der Versprechungen von Präsident Andry Rajoelina im vergangenen Jahr ist die Überbelegung immer noch weit verbreitet und die Zahl der Personen, die sich in Untersuchungshaft in den Gefängnissen Madagaskars befinden, ist nach wie vor übermäßig hoch. Die Bedingungen haben sich seit dem Ausbruch des COVID-19 verschlechtert, da die Gefangenen keine Besuche von Familienangehörigen oder ihren Anwält_innen mehr erhalten. Darüber hinaus leben sie in der Angst, krank zu werden und keinen angemessenen Zugang zu medizinischer Versorgung zu haben”.