Ein Jahr nach Präsident Andry Rajoelinas Ankündigung, die Gefängnisse zu entlasten, leiden madagassische Häftlinge noch immer in überbelegten Haftanstalten, die dreimal so hoch belegt sind wie es ihnen ihre Kapazität erlaubt, sagt Amnesty International. Noch immer befinden sich Tausende von Menschen in Haft, ohne für eine Straftat überhaupt angeklagt zu sein aufgrund der exzessiven Inanspruchnahme von Untersuchungshaft.
Inmates at Manakara prison (Maison Centrale de Manakara), Madagascar, 15 September 2018.
Centre is José Alain, also known as Rasta from Manakara. He was arrested for burglary, but maintains his innocence, and says he was beaten by police after his arrest. He has been in Manakara prison for a month, along with 11 other people, all held on temporary pre-trail detention for the same crime.
Madagascar’s current judicial policies insist that people accused of a crime are routinely put in prison pending trial. They can be waiting for a trial for years, with little or no information on their cases. This has led to the extraordinary situation where Madagascar’s prisons hold more people who have not been convicted than those found guilty. The use of unjustified, excessive and prolonged arbitrary pre-trial detention in Madagascar has led to a wide array of human rights violations, which Amnesty International exposed in its research into the prison system of the country.
„Präsident Andry Rajoelina hat sein Versprechen gebrochen, die völlig überbelegten Haftanstalten in seinem Land zu entlasten. Selbst während sich COVID-19 im Land ausbreitet, sind die Gefängnisse nach wie vor voll mit Untersuchungshäftlingen, die wegen Bagatellen und gewaltlosen Taten angeklagt sind, darunter viele Kinder“, sagt Deprose Muchena, Amnestys East and Southern Africa Director.
„Systematische Versäumnisse im madagassischen Strafrechtssystem haben dazu geführt, dass Tausende von Menschen Gefängnisstrafen absitzen, ohne dass sie davor vor Gericht geführt wurden. Dies führte zu einer starken Überbelegung der Haftanstalten. Präsident Rajoelina muss unverzüglich die Untersuchungshäftlinge freilassen, angefangen bei denjenigen, die keine Gefahr für die Gesellschaft darstellen, die wegen geringfügiger und gewaltloser Taten festgehalten werden, sowie Kinder, und sicherstellen, dass die verbleibenden Häftlinge Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung haben“.
Die Bedingungen in den madagassischen Gefängnissen stellen ernsthafte Sicherheits- und Gesundheitsrisiken dar, insbesondere während der COVID-19-Pandemie. Die Untersuchungshäftlinge machen 54% der Gefängnispopulation in Madagaskar aus. Darunter befinden sich Hunderte von Kindern, die unter entsetzlichen Bedingungen festgehalten werden, ohne für eine Straftat verurteilt worden zu sein – 75% der Jungen und 68% der Mädchen davon befinden sich in Untersuchungshaft.
Während Präsident Andry Rajoelina im Juni sein Vorrecht als Präsident nutzte, um mehr als tausend Gefangene zu begnadigen und damit den Weg für ihre Freilassung zu ebnen, schloss diese außergewöhnliche Maßnahme allerdings alle Untersuchungshäftlinge aus.
Die 82 Gefängnisse des Landes haben nur eine Aufnahmekapazität von etwa 10.000 Häftlingen. Doch im August 2020 beliefen sich die Zahlen der Häftlinge auf 27.000 landesweit – eine Überbelegung, die die Kapazitäten ums dreifache übersteigt.
Im August wurden 22 Insassen von madagassischen Sicherheitskräften getötet, als sie versuchten, aus dem Gefängnis Farafangana im Südosten des Landes zu fliehen. Dutzende weitere wurden mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert. Insgesamt entkamen 88 Häftlinge.
Die Menschenrechte der Häftlinge werden aufgrund der entsetzlichen Zustände, einschließlich des Mangels an ausreichender Nahrung und sanitären Einrichtungen, regelmäßig verletzt. Die Häftlinge haben nicht genügend Platz, sie schlafen auf dem Boden und um zu schlafen, müssen sie sich abwechseln. Der Grund für den Fluchtversuch aus dem Gefängnis von Farafangana im August ist in den schlechten Lebensbedingungen, Misshandlungen und der Kontaktuntersagung zu ihren Familien zu suchen. Die meisten der Geflohenen befanden sich in Untersuchungshaft.
“Viele der Menschen in madagassischen Gefängnissen wurden über längere Zeiträume ohne Gerichtsverfahren festgehalten, und viele, darunter Kinder und Personen, die wegen Bagatelldelikten angeklagt sind, sollten gar nicht erst dort sein. Präsident Rajoelina könnte damit beginnen, die Freilassung dieser Gefangenen in Erwägung zu ziehen, die eindeutig keine Bedrohung für die Gesellschaft darstellen”, sagte Deprose Muchena.
“Die COVID-19-Pandemie könnte diese schreckliche Situation noch verschlimmern, und es muss sofort gehandelt werden, um die Gefangenen zu schützen.“
Hintergrund
Researcher_innen von Amnesty International, die 2017 und 2018 diverse madagassische Gefängnisse besuchten, wurden Zeug_innen der schlechten Infrastruktur und unmenschlichen Bedingungen, die dort vorherrschen. Die Organisation dokumentierte die exzessive Anwendung der Untersuchungshaft in Madagaskar in ihrem Bericht “Punished for Being Poor: ungerechtfertigte, exzessive und verlängerte Untersuchungshaft in Madagaskar”.
Der Bericht enthüllte, wie Menschen, die keines Verbrechens für schuldig befunden wurden, in den Gefängnissen Madagaskars unter entsetzlichen Bedingungen starben. Die Untersuchungshaft schadet den ärmsten Menschen der Gesellschaft. Die Mehrheit der Untersuchungshäftlinge, die von Amnesty International im Rahmen des Berichts befragt wurden, waren arm, stammten aus ländlichen Gebieten, verfügten über keine formale Bildung und waren über ihre Rechte nicht ausreichend informiert.